Großer böser Wolf
Donnerstag, 30. März 2017
16 Jahre alt (by Jake)
Als ich 16 war, war ich beliebt. Irgendwie. Die Mädchen schwärmten von mir und die Jungs dachten ich wäre cool. Ich wusste, dass es daran lag, dass ich hübsch war.
Dunkle Haare, blaue Augen, trotz Pupertät keine Pickel und hochgewachsen auch.
Vielleicht hat es mich auch deshalb so gestört. Ich war nie der witzige Typ, war nie der Erfolgreichste oder der Schlauste in der Klasse.
Keiner wusste, dass ich Klavierstunden nahm oder das in einen Kurs für Kickboxen besuchte.
Sie wussten, dass ich zeichnen konnte. Aber das war auch alles. Wäre ich nicht hübsch gewesen, wäre ich wohl der komische Typ geworden, der in der Ecke sitzt und vor sich hin zeichnet. Ignoriert. Vergessen. In Ruhe gelassen.

Aber so war es nuneinmal nicht. Ich stand immer im Mittelpunkt. Es wäre gelogen, würde ich behaupten ich hätte es nicht genossen. In dem Alter waren wir alle Aufmerksamkeitsgeil. Und da ich Zuhause eben jene positive Bestätigung nicht bekam, nahm ich sie mir nun einmal von Fremden, mit denen ich zur Schule ging.
Ich war mit 16 auch keine Jungfrau mehr. Gott bewahre. Bei so einer Beliebtheit nichts zu versuchen wäre auch dumm. Ich weiß nicht, wie vielen Mädchen ich ihre Unschuld nahm, doch sie schienen nicht böse darüber zu sein. Vielleicht liebten sie mich sogar. Vielleicht dachten sie, ich hätte es getan, weil ich etwas für sie empfand. Vielleicht. Doch wer weiß, ob diese Mädchen überhaupt zu solchen komplexen Emotionen fähig waren.

Doch diese große Bekanntheit blieb nicht immer schön.
Als ich mit Simon zusammen kam, begann ich alle zu ignorieren. Konzentrierte mich nur noch auf die Personen die mir tatsächlich etwas bedeuteten. Nicht so, wie meine anderen Schulkameraden, mit denen ich nur abhing, weil ich nicht allein sein wollte und es genoss angehimmelt zu werden.

Auf einmal war mein Freundeskreis auf 3 Personen geschrumpft. Zumindest jener Freundeskreis der nur Personen beinhaltete, die ich auch persönlich und nicht online kennen gelernt hatte.
Simon, Emily und Julia. Emily war schon immer Simons beste Freundin gewesen, nicht meine. Und auch wenn mein Interesse an ihrer Schönheit und Ausstrahlung nie schwand, so wurden meine romantischen Gefühle für sie schwächer und meine Freundschaftlichen stärker. Sie weckte den Beschützerinstinkt in mir, genauso wie sie es in Simon getan hatte. Es war in Ordnung, so wie es war.

Es war in Ordnung, bevor mein Stiefvater mitbekam, dass ich mit einem Jungen zusammen war und wir "Dinge" taten. Simon hatte mich nur zwei Mal zuhause besucht. Einmal, als mein Stiefvater in Stuttgart war und meine Mutter bei ihrer Mutter in Halberstadt, beide also hunderte Kilometer entfernt. Und einmal - mein Stiefvater und meine Mutter waren wieder nicht daheim- spät Abends, als er mir die Hausaufgaben bringen wollte und wir uns furchtbar gestritten haben, dabei weiß ich nicht einmal mehr wieso.
Verrückte Zeiten. Ruhige Zeiten.

Als mein Stiefvater von Simon erfuhr, war dieser bereits verstorben, auch wenn er es wohl schon viel früher geahnt hat.
Es war nie so, dass ich ihm wirklich etwas bedeutete, nein, im Gegenteil, ich war ihm eigentlich nur lästig. Besten Falls als Boxsack zu gebrauchen.
Zu der Zeit haben wir uns wieder öfter geschlagen. Er gewann immer.

Als ich mit einem Feilchen in die Schule kam, reagierte zuerst keiner. Bis in der Mittagspause eine Gruppe Mädchen auf mich zukam und mir sagte, wer auch immer mir das Feilchen verpasst hätte, sie wöllen ihm danken.
Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich wusste nicht, wieso sie das taten, wieso sie all diese Dinge zu mir sagten.
Von Tag zu Tag wurde es schlimmer und es schien mir, als hätten sie schon immer insgeheim eine Abneigung gegen mich gehabt und erst jetzt den Mut besessen es mir auch offen zu zeigen.
Ich erinnere mich, einmal auf dem Weg zur Schule mit Eiern beworfen worden zu sein. Nicht einmal von Schülern meines Jahrgangs, sondern von Jüngeren, die ich nicht einmal kannte.

Man versuchte mich hinter der Turnhalle zu verprügeln. Da brachen sie mir das Schlüsselbein und den Zeigefinger.
Meiner Mutter sagte ich, es sei im Sportunterricht passiert. Ein Unfall.
Es fiel ihr nicht schwer das zu glauben und ich bin mir bis Heute nicht sicher, ob es sie überhaupt wirklich interessiert hätte, hätte ich ihr damals die Wahrheit gesagt.
Wer weiß das schon.

Alles in Allem war die Zeit damals schrecklich. Und doch....



Ich kann mich von weitem sehen. Ich stehe auf der anderen Straßenseite, vor unserer alten Schule und kann die Glocke von hier aus gerade noch so leuten hören. Ich bezweifle, dass mich jemand wieder erkennt. Ich bin gewachsen seit damals. Mein Haar ist länger und blond gefärbt. Meine Brille habe ich seid Jahren gegen Kontaktlinsen eingetauscht und einen Dreitagebart wie heute hätte ich vor 5 Jahren nicht hinbekommen.
Schweigend rauche ich eine Zigarette und ziehe meinen Mantel enger.
Und dann passiert es.
Ich kann mich, von der anderen Straßenseite aus, selbst aus dem Schultor gehen sehen. Mein 16-jähriges Ich.
Ich kann sehen, wie ich mich vorsichtig umsehe. Nicht ängstlich, keineswegs. Jedoch darauf bedacht, alles im Auge zu behalten. Als wäre dieses Tor kein sicherer Ort.

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